Alles begann an einem Montagmorgen, ich schüttete mir eine Tasse schwarzen heißen Kaffee direkt
in den leeren Magen und ließ feurig eine weitere von schon zu vielen Zigaretten zwischen meinen Fingern
verglühen. Bäh, wie sehr musste ich den Weg zu meinem Herzen eigentlich noch teeren, bis ihn Batman endlich finden würde. Nein, Looping, nicht jetzt, nicht heute, nicht schon wieder einer dieser abgebrühten Sprüche, die keiner mehr hören kann. Montag also, Woche zwei nach meinem ersten Auftrag, Stunde Null irgendwie.
Ach, hätte ich doch Batman niemals kennengelernt. Wir denken jetzt nicht an Batman. Wir denken jetzt nicht an Batman. Und wer sind eigentlich wir?
Aber da war es auch schon zu spät und theatralisch – ich neige einfach dazu an unkontrollierbaren Gefühlsausbrüchen zusammenzubrechen – brach ich vor mir selbst in Tränen aus. Ich saß auf meinem Balkon und weinte und schrie halt hysterisch herum und zeitgleich mit mir, mit meinen plumpen Tränen begann auch der regenschwere graue Himmel in mein Gejaule einzustimmen.
Zuerst platschten ein paar einsame dicke Tropfen verloren auf meine Hände und brachten die Glut meiner Zigarette zum Zischen und nur wenige Augenblicke später, als mein Heulen leidenschaftlicher und damit nasser wurde, vermengten sich eben diese Tropfen zu einem Regen, bis sich ein Wolkenbruch vor meinem Balkon ergoss und das kleine beschauliche Rinnsal in meinem geliebten Blumengarten auf eine beängstigende Weise anschwellen ließ.
Ich aber schrie es in den grauen regenschweren Tag hinaus:
„Batman! Elendes Fusselhirn!!“
Und dabei warf ich die Arme in die Höhe als betete ich zu Gott. Aber keiner konnte das hören oder bemerken. Der Himmel donnerte einfach zu kräftig und Wolken brachen ineinander zusammen. Ein Blitz schlug in den kleinen beschaulichen Kirschbaum in meinem Vorgarten ein. Krach. Blitz. Boom. Bang. Der Baum geriet ins Schwanken und gab knackende Geräusche von sich, um dann hysterisch auf dem Garagen-Dach zusammenzubrechen. Das Holz brach und all die hübschen rosa Blüten wehten auf einmal von dannen. Ich weinte hier noch einmal lauter, senkte die Arme vor der Brust zusammen und gab herzzerreißende Wuhhhhh-Laute von mir. Aber keiner schenkte mir Aufmerksamkeit.
Diese schaurige Woche ging im Nass meiner Tränen vorüber, auch das Wetter blieb beständig regnerisch, es war als heulten wir gemeinsam vor uns hin. Da schaltete ich seit Tagen das erste Mal den Fernseher an: Huch, Katastrophen-TV schon wieder! Und dabei das! Sachsen tauchte ab, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Bayern und die Schweiz ja auch schon wieder. Krass! So ein Hochwasser! Ich verzog meinen Mund in eine 45-Grad-verschiefte-Schieflage und schaltete den Scheiß gleich wieder aus.
Jetzt erst fiel mir auf, dass mein Telefon seit Tagen achtlos und ausgeschaltet auf dem Fußboden unter der Couch gelegen hatte. Die Katze musste mit der daran befestigten Schnur gespielt haben und es so ganz unauffällig weiter und weiter, bis in die tiefsten Untiefen unter meiner Couch befördert haben. Ich kroch also heldenhaft mit dem Kopf unter selbige, zog es niesend hervor und würde nun nur noch schnell eine halbe Stunde nach dem Ladegerät suchen müssen.
Als mein Telefon endlich wieder on air war – ich habe leider nur so ein übelst langsames Drecks-Dingens-Smartphone – blinkten prompt zahlreiche Tweets und Mitteilungen, Mails und so ein Zeugs auf. Anrufe meiner Eltern, die neusten Liebeskummer-lohnt-sich-nicht-Song-Empfehlungen meiner Schwester auf Youtube und und und.
Ich wollte gerade alles sondieren und in Ruhe überlegen, was nun zu tun sei, als es plötzlich und ohne, dass ich jemanden erwartet hätte, an der Tür klingelte. Ich hatte jetzt wirklich keinen Bock irgendwelchen unbekannten Wesen die Tür zu öffnen, also verhielt ich mich still, bewegte mich nicht, zog mir nur leise eine Decke über den Kopf, tat als sei ich nicht da und hoffte, die blöde Postfrau würde gleich wieder gehen. Wenige Sekunden später klingelte und klopfte es jedoch vehementer und es rief ja auch:
„Lydi! Lydiiiiiie!“
Mist.
Ihre Stimmen waren nicht zu verkennen. Aber ich war doch noch im Schlafanzug, es war der hässlichste, den ich besaß, außerdem hatte ich mir vor zwei Wochen das letzte Mal die Haare gewaschen und es war wirklich zu spät am Tag, um noch einen Schlafanzug zu tragen. Ich hatte mich wegen Liebeskummer auf unbestimmte Zeit krank schreiben lassen. Mir war jetzt auch nicht nach Keksen und Kaffee oder was auch immer für eine Tageszeit wir gerade hatten und was da zu essen wäre. Außerdem hatte ich auch nicht geputzt und so. Missmutig öffnete ich also langsam schiebend meine Wohnungstür und steckte meinen geschundenen Kopf dort hinaus:
„Wer stört?“
Es waren zwei meiner Freundinnen, angewidert zerschlugen sie die Spinnweben in meinem Türrahmen und hielten mir ein knallrotes Walkie-Talkie vors Gesicht.
„Lydiiiie, das kam in einem …“
Sie sahen einander an, dann hochaufgeregt zu mir:
„Eil-care-paket!“
Sie riefen dieses seltsame Wort ja vollkommen zeitgleich aus, um fortzufahren:
„ … aus der Schweiz.”,
wieder gleichzeitig und dabei hielten sie dieses rot leuchtende Ding ein wenig unbeholfen, ein wenig angewidert in den Händen.
„Es ist schon ganz heiß gelaufen!“,
zwitscherten sie weiter und schmissen es sich unbeholfen und hektisch gegenseitig zu.
„Irgend so ein Schweizer ist dran.“
,
„Er behauptet vielleicht, er müsse dringend mit dir sprechen, aber mehr ist da wirklich nicht zu verstehen.“,
sagten sie wieder und hüpften aufgeregt auf dem Fußabtreter vor meiner Tür herum. Es regnete noch immer. Ich konnte sie jedoch aufgrund der Unordnung keinesfalls in meine Wohnung hineinlassen.
,,Gebt mal her!“,
sagte ich und hielt mir das Ding ganz fest an die Ohren, um es sogleich wieder weit davon weg zu halten!
„ … für den hani sovil Stutz zahlet, u dä ischer nidemou ä Frank, sondern … ach, der chunt vo irgewo da häre, e Dütscher. Spiut sich uf wie wänn er Chef wär, het ds Gfüehl, er wüsst immer auis besser, nur wöu er ne Superheld isch. U dr schnurret ou immer so luut, wie wenn er würd ne Befehl geben. Hät üs gar nüd z säge, d huredütsche Gummihaus. Üsi Schwyz ist wiedr emou vou mit Wasser. Nur wöu er mit d Sturmschäde hät Erfahrige gmacht u dis i sis Lebenslouf gschriibe hät, gloubt er, er chöii ds auis gli zr Awndig bringe! Over!“
„Bitte was? Wer spricht da? Over.“
Die Stimme am anderen Ende des Walkie-Talkies räusperte sich und schien auf etwas, das schon ein wenig mehr nach Hochdeutsch klang, umzustellen.
„Lydia Looping? Looping? Hier spricht Frying Lilian. Weißt du noch? Wir haben uns bei deinem letzten Besuch in der Schweiz, in diesem Papiliorama kennengelernt. Ich hatte so tierische Angst vor all den frei fliegenden Fledermäusen, davor dass die vielleicht mal an mir knabbern würden. Und wir haben lange zusammen überlegt, ob Fledermäuse sich notfalls auch von Menschenblut ernähren würden. Over.“
Ich schloss die Augen, zupfte nachdenklich ein paar Mal an meiner hervor geschobenen Unterlippe und versuchte mich zu erinnern.
„Weißt du nicht mehr? Du hast mir doch den Weg nach draußen gezeigt und ich habe dich zum Dank zu meiner All-You-Can-Fry-Party eingeladen. Over.“
Rauschen.
Frying Lilian, jetzt dämmerte es mir.
„Lilian! Na klar. Over.“, schrie ich.
„Twitter hat uns getweetet, dass du umgehend nochmal kommen musst, Lydia-Looping! Over!“
„Ghiiiii, Uuuuh, Haaach!“,
schrieen meine Freundinnen und ließen verschreckt ihre Hände vor offen stehende Münder gleiten.
„Du bist diese Lydia-Looping?“
„Diese Superheldin?“
ihre Stimmen erhoben sich in unendliche Höhen. Ihre bauchigen gepunkteten Röcke wurden jetzt von einem Windstoß synchron mit einem Schwung zuerst nach links, dann nach rechts geweht, während ihre Hände vor den Mündern zu erstarren schienen.
Sie kreischten ein langwieriges und lautes „Ohhhhh!“ und …
„Contenance!“ sagte ich und fuhr adrett die Antenne vom Walkie-Talkie ein.
,,Ich werde gebraucht!“
Dann schmiss ich ein wenig unsanft die Tür zu, ließ die Beiden im Regen stehen und trat auf meinen Balkon, um einen besseren Empfang zu gewährleisten.
Ich stellte mich auf meinen umgedrehten Wischeimer, mein schlabbriger Schlafanzug wehte dabei lässig im Wind. Jetzt zog ich die Antenne des Walkie-Talkies ganz weit heraus. So weit es eben ging, ich brauchte dringend noch besseren Empfang.
,,Lilian, wie kann ich helfen? Over.“
„Ach dieser Neunerbahn. Wir haben ihn so teuer bezahlt und jetzt … und … na weil er so viel Geld verdient, denkt er, er würde alles besser wissen, blöder Besserwessi aus Berlin. Dabei hat er mit Hochwasser keine Erfahrung. In seinem Lebenslauf steht schließlich nur was von Sturmschäden. Wir müssen ihn dringend von den Hochwassergebieten fernhalten. Over.“
Ich riss die Augen so weit auf, wie nie in meinem Leben sonst.
„Ihr habt Neunerbahn bezahlt und dafür eingestellt, dass er euch in schwierigen Situationen zur Seite steht!“
Ich musste augenblicklich laut anfangen zu kreischen:
„Ghhhhhhhhiiiiiiiiiii! – Ihr seid übel herein gefallen, Neunerbahn ist der fieseste mieseste Superschurke im ganzen Universum! – Ich werde sofort alles nötige einleiten und zu euch kommen. Ich werde die Schweiz retten, komme was wolle. Ich nehme den nächsten Linienflug und sammle dabei auch noch Meilen. Over.“
Sorgfältig fuhr ich die Antenne des roten Walkie-Talkies ein, hielt es mir noch ein paar Minuten nachdenklich an die Wange, dann hatte ich einen Plan, dann wusste ich was zu tun war.
„Heeeeeeeeeeeeeeeeiiiiija!“ schrie ich,
„Let’s los!“ und dabei nickte ich mit dem Kopf und machte einen riesigen Satz und sprang so euphorisch vom Wischeimer, wie nie in meinem Leben sonst. Na hoppla, da hatte ich mir scheinbar auch schon den Knöchel verstaucht.
„Autschie-Wautschie!“, kreischte ich und umgriff mir den Knöchel.
Für einen Moment schmerzte es höllisch, so sehr, dass ich zu Boden ging und mich kaum noch bewegen konnte.
„Autschie-Wautschie!“
Ich entschied mich heldenhaft vom Balkon in die Wohnung hinein zu rollen. Aber wie nur sollte ich Frying Lilian nun noch zur Seite stehen? Im Wohnzimmer angekommen schnappte ich mir mein Smartphone und beschloss, die Welt schnell, bequem und so unglaublich kostengünstig per Tweets auf Twitter zu retten:
„@Frying-Lilian! Bin schwer verletzt und kann Ihnen nicht zur Seite stehen.“
„@Frying-Lilian, tut mir leid, tut mir leid, tut mir leid!“
„@Frying-Lilian, nehmen Sie sich bitte vor Neunerbahn in Acht, man neigt leicht dazu, ihn dramatisch zu unterschätzen.“
Als ich damit fertig war, grinste ich selbstgefällig vor mich hin und stellte den Status all meiner technischen Geräte auf:
„Bin aus technischen Gründen nicht erreichbar, da es technisch leider nicht möglich ist, mich zu erreichen.“
Ich fuhr die Dinger herunter und schob sie wieder unter meine Couch. Wenige Augenblicke später reaktivierte ich meinen alten, noch nicht mit dem Internet verbundenen CD-Player und ließ diesen unser Lied spielen (also das Lied von Batman und mir). Es sollten noch einige Tage vergehen, in denen ich mich ganz den Schmerzen meines Knöchels und denen meines Herzens hingab.
Und in der nächsten Folge: Eine Liebesszene? Wird Batman wieder mit Lydia-Looping Kaffee trinken gehen? Und wenn ja, scheint dadurch dann etwa die Sonne zu oft? Haben wir möglicherweise eine dramatische Waldbrandgefahr zu befürchten?